Goetheinfo 175. Todestag am 22.3.2007


Goethes gedenken?
Wie, bedarfs dazu Besondern Tages?
Braucht es da ein Fest?
Sein zu gedenken, der aus seinem Bann
Nie unsern Geist, nie unsre Brust entlässt!
Die Männer und die Frauen unsrer Zeit,
Wie haben sie von ihm gelernt zu lieben:
Wie dürftig wäre diese Welt geblieben,
Hätt er sie nicht im voraus uns geweiht!

Hugo von Hofmannsthal (Prolog zu einer Gedächtnisfeier für Goethe am Burgtheater zu Wien, den 8. Oktober 1899)

Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832) ist auch 175 Jahre nach seinem Tod noch der bekannteste und meistgelesene deutsche Dichter. Nicht nur sein umfassendes Werk, auch das lange und ereignisreiche Leben des großen Weimarer Klassikers bietet Stoff für immer neue Entdeckungen.
Er wurde geboren in Frankfurt a.M. am 28. 8. 1749 und starb in Weimar am 22. 3. 1832. Seine Jugendzeit verbrachte er in Frankfurt und erlebte dort die Besetzung durch die Franzosen.

Studium in Leipzig von 1765-68, danach Lizenziat der Rechte in Straßburg 1770-71, wo er auch Friedericke Brion, die Tochter des Pfarrers von Sesenheim kennen und lieben lernte.

1771-75 Anwalt in Frankfurt. Ab 1775 wurde Goethe an den Hof Herzog Karl Augusts nach Weimar berufen und stieg schnell zum hohen Staatsbeamten als »Geheimer Rat«(1779) und »Leiter der Finanzkammer« (1782) auf.

1786-88 beurlaubte sich Goethe aus dem Staatsdienst und begab sich auf seine berühmte Reise nach Italien, wo er dichterisch und ideell zur klassischen Form reifte.

Wieder in Weimar lebte er in freier Liebe mit der Bürgerlichen Christiane Vulpius zusammen, die er aber erst 1806 ehelichte.

Verzicht auf seine Staatsämter und von 1791 bis 1817 Direktor des Hoftheaters.

1790 zweite italienische Reise, aber mit kritischer Distanz. Ab 1794 verbindet sich Goethe künstlerisch mit Schiller und sie bilden gemeinsam das Zentrum der deutschen Klassik in Weimar.

Ab 1805, nach dem Tod Schillers, beginnt Goethes Alterwerk. Seine wichtigsten Erlebnisse waren die Begegnung mit Napoleon 1808, die Rheinfahrten von 1814/15 und die Liebesbeziehung zu Marianne von Willemer. Erholungsreisen nach Karlsbad und Marienbad. Mit Hilfe seines Assistenten Eckermann konnte Goethe in seinem letzten Lebensjahrzehnt seine literarischen Hauptwerke abschließen.

Zeit seines Lebens arbeitete Goethe an einer Vielzahl literarischer Werke, die großteils in die Literaturgeschichte eingegangen sind: Vom »Werther« über »Faust« und die »Wahlverwandschaften« bis zum »Wilhelm Meister«, um nur einige zu nennen. Goethe stand in regem Kontakt zu allen geistigen Größen seiner Zeit und seine Wirkung auf die Literatur ist bis heute ungebrochen.

Goethe und kein Ende?
Goethe und kein Ende? Noch mehr Goethe? Mit Fußnoten, ohne Fußnoten, mit Kommentar, ohne Kommentar, mit gelehrten Anspielungen und ohne - Goethe am laufenden Bücherband: der »Klassiker« der Deutschen, tantiemenfrei. Jeder kann ihn drucken, viele drucken ihn. Ein Longseller. Aber wie viel Goethe braucht der Mensch, vornehmlich der deutsche? Manche Menschen, die Mehrzahl wahrscheinlich, brauchen ihn gar nicht. Ihnen genügt die Boulevardzeitung als Lebens- und Informationshilfe, morgens an der Straßenbahnhaltestelle aus dem Kasten gezogen. Oder das Heimatblatt. Oder es genügen ihnen die Mattscheiben-Opera als Kultur- und Literaturersatz. Sich darüber zu mokieren, wäre ebenso ungerecht wie sinnlos. Ungerecht, weil Bildung nicht vornehmlich von der Goethe-Lektüre abhängt, und sinnlos, weil niemand zum Goethe-Leser dadurch wird, dass man ihn einen Banausen nennt. Es kommt nämlich nicht darauf an, dass alle Goethe lesen und sich mit Goethe beschäftigen, sondern es kommt darauf an, dass Goethe für diejenigen, die auf ihn aufmerksam werden und in das Kraftfeld seines geistig-menschlichen Charismas geraten, zugänglich bleibt, anstatt entweder als vorgestrig verworfen oder in einen Kokon wissenschaftlicher Interpretation eingesponnen zu werden. Den ganzen Goethe, von der ersten bis zur letzten Zeile, werden nur wenige lesen. Aber mit dem »ganzen Goethe« verhält es sich so wie mit einer großen Privatbibliothek: Lesen kann die vielen Bände kaum jemand, aber gebraucht werden sie trotzdem. Ihre Präsenz verbürgt, dass sie, wenn sie gebraucht werden, zur Stelle sind - und wie verbürgt auch eine Gegenwärtigkeit der Geister und des Geistes, die zwischen den vielen Buchdeckeln jederzeit abrufbar ist. Wer braucht Goethe und wozu? Niemand braucht Goethe, um leben oder gar überleben zu können - auch die brauchen ihn in diesem Sinn nicht, die mit ihm umgehen. Er ist nicht lebens-notwendig, nicht über-lebens-notwendig. Aber Goethe ist lebens-hilfreich. Er macht ein geistiges Verhaltens-Angebot, indem er sich selbst durch seine Lebenseinsichten und Lebensansichten als einer empfiehlt, mit dem es sich leben lässt: gelassener, heiterer, erfüllter als mit jener Existenzhetze, die uns der Alltag mit seinen Zwängen, trivialen Herausforderungen und billigen Ablenkungen aufzwingt. Deshalb braucht der Mensch Goethe. Wie viel, das ist zweitrangig. Manchmal braucht er nur ein Wort, eine Zeile, um mit sich »ins Reine zu kommen«. Wie viel Goethe der Mensch braucht, muss jeder für sich entscheiden. Goethe kann man niemandem aufschwätzen. Goethe muss entdeckt werden, er muss Neugier wecken und Einsicht auch in die Existenz des Lesers vermitteln. Dann stellt sich ein Dialog besonderer Art her, jenseits von Buchstabenkonsum zwecks Bildungserwerb vordergründigster Art. Ganz im Sinne Goethes, der meinte: »Nicht insofern der Mensch etwas zurücklässt, sondern insofern er wirkt und genießt und andere zu genießen und zu wirken anregt, bleibt er von Bedeutung.«

Heinz Friedrich (Auszug aus Goethe - wozu und für wen? Marginalien zur Weimarer Ausgabe)

»Jugend und Genie sind sein Gegenstand, und aus Jugend und Genie ist es selbst geboren.«
Thomas Mann

»Goethe war der größte Deutsche, nicht nur der größte deutsche Dichter.«
Karl Marx und Friedrich Engels in einem Aufsatz

»Was wir von Vorstellungen von Harmonie, glücklicher Ausgewogenheit und Klassizität mit Goethes Namen verbinden, war nichts leichthin Gegebenes, sondern eine gewaltige Leistung, das Werk von Charakterkräften, durch welche dämonisch-gefährliche und möglicherweise zerstörerische Anlagen überwunden, genützt, verklärt, versittlicht wurden, zum Guten und Lebensdienlichen gewendet und gezwungen.«
Thomas Mann (Ansprache im Goethejahr 1949)

»Er ist selber groß, aber er ist wie wir alle.«
Thomas Mann

»Von Homer bis Goethe ist eine Stunde, von Goethe bis heute vierundzwanzig Stunden, vierundzwanzig Stunden der Verwandlung, der Gefahren, denen nur der begegnen kann, der seine eigenen gesetzlichen Dinge betreibt. Mann hört jetzt oft die Frage nach einem "richtigen" Goethebild, das wird es nicht geben, man muss sich damit begnügen, dass hier etwas ins Strömen geraten ist, das verwirrt, nicht zu verstehen ist, aber an die Wüste gewordenen Ufer Keime streut -: das ist die Kunst.«
Gottfried Benn (Doppellleben. 1950)

»Goethe war unter allen großen Deutschen der menschlichste.«
Marcel Reich-Ranicki

»Aber diese hohen Vorzüge seines Geistes sind es nicht, die mich an ihn binden. Wenn er nicht als Mensch für mich den größten Wert von allen hätte, die ich persönlich je habe kennen lernen, so würde ich sein Genie nur in der Ferne bewundern. Ich darf wohl sagen, dass ich in den sechs Jahren, die ich mit ihm zusammen lebte, auch nicht einen Augenblick an seinem Charakter irre geworden bin. Er hat eine hohe Wahrheit und Biederkeit in seiner Natur und den höchsten Ernst für das Rechte und Gute; darum haben sich Schwätzer und Heuchler und Sophisten in seiner Nähe immer übel befunden. Diese hassen ihn, weil sie ihn fürchten, und weil er das Falsche und Seichte im Leben und in der Wissenschaft herzlich verachtet und den falschen Schein verabscheut, muss er in der jetzigen bürgerlichen und literarischen Welt notwendig es mit vielen verderben.«
Schiller über Goethe

Quelle: www.dtv.de